Glaubten wir den Erzählungen der Leute, die wir in den exjugoslavischen Staaten getroffen haben, ist Albanien ein unbekanntes, anrüchiges und wildes Land, in das man unmöglich reisen kann.
Straßen seien quasi nicht existent, überall lauerten Gefahren und man würde da unmöglich lebendig rauskommen, überspitzt gesagt. Die Reiseberichte, die ich im Vorfeld gelesen hatte, waren zwiegespalten, aber überwiegend positiv. Bei den Reisevorbereitungen hatte ich das Land Albanien allerdings nicht sehr gut recherchiert. Es war Teil der Route mit ein, zwei Caches und einer Übernachtung. Mehr nicht.
So brechen wir also nicht allzu früh morgens mit gemischten Gefühlen auf zur nahen albanischen Grenze. Die verläuft auf einer Hügelkette. Eine Serpentinenstraße führt hinauf. Schon bald sehen wir erste Schilder, die das Fotografieren verbieten. Dies gilt aber nicht der Grenze, sondern der mazdonischen Militärbasis, die kurz vorm Grenzposten liegt. Wir haben noch einmal eine tolle Aussicht auf den Ohridsee von hier aus.
Wir erreichen den kleinen mazedonischen Posten. Es ist nichts los und wir kommen sofort dran. Ausser uns ist nur noch ein gelber Vito mit italienischem Kennzeichen hier und will von Albanien nach Mazedonien einreisen. Ich reiche dem Grenzer das ganze Bündel an Papieren: Pässe, internationale Führerscheine, grüne Versicherungskarte, Fahrzeugschein. Der Beamte legt die Fahrzeugpapiere zur Seite, interessiert sich nur für die Pässe. Man hat nichts zu beanstanden, reicht uns die Papiere wieder herein. Der Zoll winkt uns durch. Jetzt folgt eine längere Passage durchs Niemandsland. Wir nutzen die Zeit, um noch einmal die Vokabeln zu checken.
Ich begrüße die Grenzer gerne in Landessprache und schaffe mir das vorher eigentlich immer drauf. Bisher musste man immer nur Varianten beherrschen: „Dober Dan!“ oder „Dobar Den!“. Aber Albanisch konnte ich mir einfach nicht merken. Ich bitte Astrid, mir „Guten Tag“ auf Albanisch noch einmal vorzulesen. „Mirëdita!“ sagt sie zu mir. Wir erreichen den Grenzposten. „Good Morning!“ sage ich.
Im Rückspiegel taucht der gelbe Vito noch etwas entfernt auf. „Huch, haben sie den nicht reingelassen?“
Wieder wird das Bündel Papiere rübergereicht. Mir ist so, als fehle irgend etwas. Richtig, die License, der Fahrzeugschein, ist nicht dabei! Ich schaue im Fußraum, im Trittbrett, dem Fach, aus dem ich die Papiere gezogen habe. Nichts. Eine Weiterreise ohne Fahrzeugschein stelle ich mir äusserst unkomfortabel vor. Wir haben zwar eine Kopie dabei, zum Vertrauen sollte das bei misstrauischen Polizisten aber eher nicht beitragen. Der Grenzer, ein Schnauzbart, der wie der Prototyp eines Grenzbeamten aussieht, interessiert sich neben den Pässen aber nur für die grüne Versicherungskarte. Ich weise ihn auf die fehlende License hin. Er soll noch einmal gucken, ob sie nicht irgendwo zwischen die anderen Papiere gerutscht ist. Ist sie nicht. Er lacht und will uns schon so einreisen lassen. Da hält der gelbe Vito neben uns. Offenbar haben ihm die mazedonischen Grenzer aufgetragen, uns den Fahrzeugschein zu bringen. Der ist da wohl liegengeblieben. Der Fahrer beugt sich auf der Beifahrerseite in unseren Bulli, reicht mir erst den Fahrzeugschein und dann die Hand. Auch Astrid wird mit einem herzlichen Händedruck bedacht. Zum Abschied murmelt er etwas von „Sorry for the Football“ und meint wohl das verlorene Halbfinalspiel Italien–Deutschland. Genauso schnell wie er aufgetaucht ist, verschwindet er auch schon wieder, steigt in seinen Vito und braust in Richtung Mazedonien davon.
Jetzt können wir dem albanischen Grenzposten auch unsere License präsentieren. Dieser lacht jetzt noch lauter und bedeutet uns, dass wir passieren sollen. So sind wir jetzt also in Shqipëria (Albanien). Hinter der Grenze führt die Strecke wieder direkt an der Küste entlang. Unser erster Eindruck vom Land wird bestimmt durch den kleinen schmucken Badeort Tushemisht.
Danach erreichen wir über eine Umleitung – auf der Küstenstraße wird gebaut – die Stadt Pogradec. Hier machen wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit der quirligen Fahrweise der Albaner unter beengten Bedingungen. Die Regeln sind einfach und ähneln denen in Süditalien: Gefahren wird, wo Platz ist. Wo kein Platz ist: Hupen! Hier sehen wir auch die erste der zahlreichen Polizeikontrollen, die scheinbar wahllos Fahrzeuge herauswinkt. Da diese Aktion auf einer der Hauptverkehrskreuzungen stattfindet, steigert sie das bunte Chaos noch einmal.
Gleich hinter der Grenze fällt eine hohe Dichte von T4-Bussen auf. Herrschen in Ex-Jugoslawien eher französische Modelle oder alte Tatas vor, sieht man hier jede Menge Trapos und Caravellen mit kurzem Vorderwagen, also schon älteren Datums. Sie sind in Form von Sammeltaxis offenbar ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur.
Die Küstenstraße hinter Pogradec ist unfassbar schlecht. Selbst die Einheimischen bleiben vor besonders heftigen Schlaglöchern stehen, um sie anschließend ehrfürchtig im Schritttempo zu durchfahren. Die heutige Etappe ist knapp 300 km lang. Wenn das so weitergeht, können wir uns auf was gefasst machen. Der Blick auf den Ohridsee entschädigt aber. Entlang der Straße stehen viele fliegende Händler, die vor allem ihre Fischfänge anbieten. Die Bilder ähneln sich: Einer der Händler steht halb auf der Fahrbahn und wedelt so ausladend mit einem toten Aal, dass man fürchten muss, ihn auf der Haube zu haben. Wir entscheiden uns gegen den vermeintlichen Frischfisch und Presseberichte, die von einem großen Aalsterben am Ohridsee berichten, geben uns im Nachhinein Recht. Nicht wenige dieser Aale sollen gesammelt worden sein und nicht selten den Weg auf Restaurantteller gefunden haben.
Am Nordufer des Sees gilt es, den ersten Pass in Richtung Westen zu überqueren. War die Straße bis hier hin eine Katastrophe, reiben wir uns ungläubig die Augen. Eine nagelneue, schwarze, breite und gut markierte Teerstraße windet sich hinauf. Oben gibt es eine kleine Parkbucht und eine letzte Aussicht auf den Ohridsee. Ausserdem liegt hier Bennies Balkan Box AL, beziehungsweise die Ersatzdose derer. Das Original ist wohl den Straßenbauarbeiten zum Opfer gefallen. Wir finden den Cache und sind somit jetzt mit dem Länderpunkt Albanien ausgestattet.
Albanien ist im Wandel. Das ist entlang der Hauptstraßen, die wir vorwiegend fahren, überall zu merken. Es wird viel gebaut. Der Straßenbelag ist gegen unsere Erwartung wirklich gut, oft neu. Es sind noch mehr Pferde- und Eselkarren unterwegs als in den Gegenden zuvor. Es scheint einige Leute zu geben, denen es wirtschaftlich ganz gut geht, daneben aber auch blanke Armut. Wir überqueren zwei Bergkämme und durchfahren Elbasan. Nach einer weiteren Passstraße erreichen wir das quirlige Tirana.
Tiranë, wie es in der Landessprache heisst, wartet mit einer weiteren Überraschung auf. Kurz bevor es in das Verkehrschaos der Innenstadt geht, wird die Landstraße zur Autobahn. Nagelneu, noch nicht markiert, aber schon für den Verkehr freigegeben. Die kennt unsere Karte noch nicht. Der Verkehr in der Stadt ist ja berüchtigt, aber so schlimm finden wir es gar nicht. An die direkte Fahrweise der Albaner haben wir uns schon gewöhnt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Sonntag ist.
In Tirana versuchen wir noch ein TB-Hotel zu finden, lesen aber in der Beschreibung, dass der Owner vorher angeschrieben werden will und dann die Dose rauslegt. Am zweiten Cache, der in der Stadt liegt, fahren wir stumpf vorbei.
Unser eigentliches Ziel heute heisst aber „Camping Albania“, ein Campingplatz nicht allzu weit von der Grenze zu Montengro entfernt. Hier gibt es auch einen Geocache und er verspricht einmal wieder gescheite Sanitäranlagen. Es ist schon wieder ziemlich heiss und wir können eine Dusche gut gebrauchen. Wir wurschteln uns also durch die Innenstadt und erreichen den Ortsausgang. Schon wieder nagelneue Autobahn! Entlang der Strecke gibt es moderne Tankstellen, Shoppingcenter und unglaublich viele Baustellen.
Der Diesel geht zur Neige. An einer der Tankstellen halten wir, die Gebäude sind nagelneu. Auf einem Schild sind diverse gängige Kreditkarten ausgewiesen. Gut so, schließlich haben wir keinen einzigen albanischen Lek in der Tasche. Die Anlage wird von einem älteren Ehepaar betrieben. Neben den Zapfsäulen und einem kleinen Büro gibt es auch eine Bar. Ausser uns sind keine Kunden hier. Wir sorgen für Aufregung, als wir wegen der Kreditkarte fragen. Offensichtlich weihen wir das Terminal heute ein. Über die Bedienung ist man sich nicht einig, einige Belege werden gedruckt, der Vorgang aber immer abgebrochen. Schließlich wird der Tankwart von gegenüber, wo es eine baugleiche Tankstelle gibt, zu Hilfe gerufen. Ein junger Mann kommt über die Autobahn gelaufen. Er spricht gutes Englisch und kann auch das Terminal bedienen. Allerdings werden wir hier das erste und einzige Mal auf unserer Reise beschissen. Man besteht auf der Abrechnung in Euro. Ich habe den Umrechnungskurs aber nicht drauf und so werden uns 20 € zuviel berechnet. Das ist aber zum einen immer noch billig, zum anderen ist das echt wenig Geld, im Vergleich zu dem was man uns vor der Reise für Schauermärchen erzählt hat. Es wurde uns prophezeit, dass wir auf dem Balkan ausgeraubt würden, ohne Auto oder gar ohne Leben dastünden.
Am sehr späten Nachmittag erreichen wir den Campingplatz, um den es im nächsten Artikel gehen soll.
Posted by Kausch on 13. Januar 2016 at 17:17
Danke für Ihren Bericht. Wir reisen seit 1998 regelmässig, fast jährlich, nach Albanien, wo wir viele Freunde gefunden haben. Wir konnten den Fortschritt ständig sehen, aber die Armut ist noch bitter in ländlichen Gegenden. Trotzdem freuen wir uns jedes Mal wieder, wenn wir dieses Land besuchen. Schlechte Erfahrungen haben wir bisher keine gemacht und erwarten auch keine. Ich kann nur empfehlen, dieses wunderschöne und interessante Land zu besuchen und sich mit den Menschen dort anzufreunden. Es sind schöne Freundschaften, die im Laufe der Jahre entstanden sind. Also Mut, auf nach Albanien! Freundliche Grüsse Geraldine