
Alles fing mit einem Missverständnis an. Wir hatten uns mit unseren Urlaubsanträgen nicht gut abgesprochen. Wollten wir ursprünglich Anfang Oktober Deutschlands Osten mit dem Bulli unsicher machen, rutschte der einzig mögliche Termin für gemeinsamen Urlaub tief in den November. Das ist uns zu ungemütlich zum Campen. Für diese Fehlplanung sollte ich mich später aber noch per Handschlag bei meiner Frau bedanken.

Anreise in Etappen
So machen wir uns am Morgen des 17. November 2013 auf zum Bahnhof. Wir werden über Düsseldorf und Lissabon nach Madeira fliegen. Das Klima dort soll mild sein, man soll gut wandern können und der Länderpunkt Portugal fehlt uns auch noch. Die Anreise ist bis zu dem Punkt unspektakulär, wo der Anflug auf den Aeroporto da Madeira beginnt. Die Landebahn ist recht kurz und durch die meernahe Lage und dem Gebirge im Norden herrscht eigentlich immer Seitenwind. Beim Landeanflug, zunächst vorbei am Flughafen und nach einer Schleife zur Landebahn, werden wir ganz schön durchgeschüttelt.

Der Aeroporto da Madeira steht auf Stelzen. Es gibt auf der steilen Insel einfach keinen gescheiten Ort für einen Flughafen.
Am Schalter von Guerin Rent a Car möchte man uns übers Ohr hauen. Die Insel wäre sehr steil und für einen Diesel müssten wir nur €20 Aufpreis zahlen. Ich lehne ab und meine, es würde schon gehen. Darauf kommt nur „I’ll give you a diesel anyway…“. Es ist nämlich gar kein anderes Auto mehr da. Es handelt sich dabei um einen Peugeot 207. Jedes größere Auto ist auf der Insel auch fehl am Platze. Als wir den Mietwagen in Empfang nehmen, ist es bereits dunkel.
Auf der Inselautobahn fahren wir jetzt in Richtung Funchal, der Inselhauptstadt. Wir haben über Booking.com eine Woche in Phil’s Haven Hostel gebucht. Eine Entscheidung, die zwei Seiten hat, aber dazu später. Zum Glück sind auf der Buchung Koordinaten (Danke, [martin]). Das Navigieren mit Adresse ist mit der OSM-Karte, die wir auf dem Garmin haben, eine Katastrophe. Am Hostel angelangt werden wir sogleich aufs Herzlichste von Phil und Anna begrüßt. Ein erster Blick auf die anderen Gäste lässt uns zunächst vermuten, dass wir hier den Altersschnitt gewaltig heben. Aber ausser uns sind noch zwei ältere Damen aus Paris da, eine davon mit Wurzeln in Krakau. Und auch sonst werden wir in den nächsten Tagen sehr international zugehen: Österreicher, Chinesen, Belgier, Amerikaner und natürlich Portugiesen werden wir treffen. Im Hostel herrscht eine entspannte, fröhliche Atmosphäre, man fühlt sich gleich wohl. Die Sache hat für mich nur einen Nachteil: Ich bin das Geräuschlevel nicht gewohnt, das durch die Reisenden im Six Bed Dorm über unserem kleinen Doppelzimmer entsteht. Es braucht ein paar Nächte, bis ich im Hostel gut schlafen kann. Unterm Strich war es aber eine gute Entscheidung; wir haben viele interessante Kontakte gehabt.

Klischeefoto Madeira: Die Strelitz ist das Wahrzeichen der Insel
Am nächsten Tag ist das Wetter prächtig. Zumindest hier in Funchal. Ein Blick in die Berge zeigt ein paar Wolken, aber nichts Dunkles, aus dem es regnen könnte. Wir verwenden den bewährten Rother Wanderführer
, der mit GPS-Tracks kommt, die man sich beispielsweise aufs Garmin laden kann. Also machen wir uns zu einer Levada-Wanderung auf. Wir wollen heute zum Caldeirão Verde wandern. Schon beim Anwandern zum Levadaweg gehen wir durch wunderschöne, urwaldähnliche Gegenden. Allerdings fängt es hier auch zum ersten Mal an zu tröpfeln.
Was ist eigentlich eine Levada? Bereits kurz nach der Besiedlung Madeiras im 15. Jahrhundert hat man erkannt, dass der riesige Wasserüberschuss im Norden der Insel dem sonnenverwöhnten Süden sehr gut tun könnte. Also fing man an, ein Bewässerungssystem aus offenen Kanälen ins Hochgebirge zu bauen. Mehrere hundert oder gar tausende Kilometer – je nach Quelle – sind so entstanden. Da die offenen Levadas gewartet werden müssen, gibt es an ihnen entlang ein Wegesystem, auf dem man sich mehr oder weniger gefahrlos durchs Hochgebirge bewegen kann. Mitunter geht man nur über eine Mauer in schwindelerregender Höhe. Die kitzligsten Stellen sind aber inzwischen mit Drahtseilen gesichert.

Typischer Levada-Wanderweg

Den Levadas hat man sogar Brücken gebaut – und wir müssen da jetzt auch drüber
Wir wandern einige Kilometern durch großartige Landschaft. Immer wieder gibt es einen Regenschauer. Wir machen uns mit den Gegebenheiten und der Höhe vertraut. Als wir den Caldeirão Verde erreichen, ist es aufgeklart. Ein Schild zeigt den Berg hinauf, noch wirkt alles nicht so spektakulär. Aber als wir nach hundert Metern im Talkessel stehen, sind wir überwältigt. Ein riesiger Wasserfall ergießt sich in ein Becken. Durch die Enge des Talkessels wirkt alles noch monumentaler.

Hier geht es in den Talkessel

Caldeirão Verde

Das Becken, in das sich der Wasserfall ergießt
Auf dem Rückweg werden wir dann richtig nass. Wir müssen den selben Weg wieder zurück. Aber der kräftige Dauerregen jetzt hat den lehmig-felsigen Weg nicht eben einfacher gemacht. Aber ein Anfang ist gemacht, das war schon einmal eine beeindruckende Wanderung.
Am dritten Tag wollen wir wieder wandern. Am liebsten wäre ich wieder in die Berge des Pico Ruivo Zentralmassivs gefahren. Da ballen sich aber dicke Wolken. Wir wollen möglichst nicht schon wieder nass werden und planen um. Im äussersten Osten der Insel gibt es die Halbinsel São Lourenço mit einer schmalen Landbrücke und tollen Felsformationen. Am Parkplatz ist ganz schön was los. Wir reihen uns in den Strom der Wanderer ein und gehen los. Nach einigen hundert Metern biegen wir vom Hauptweg ab. Links von uns erhebt sich eine Bergspitze. Da liegt ein Cache (GC44RQE). Wir kraxeln hinauf und sind von der Aussicht schier überwältigt.

Felstürme an der Nordküste der Halbinsel São Lourenço

Gesteinsformation auf der Halbinsel São Lourenço
An der Landbrücke, die die Halbinsel mit der Hauptinsel verbindet, bekommen wir das Mikroklima wieder zu spüren. Der Wind frischt auf, Wolken ziehen heran. Die Regenbekleidung wird aus dem Rucksack geholt und angelegt. Ausgestattet mit Jacken, Hut und Regenhaube für den Rucksack wandern wir über einen Grat direkt vor uns. Auf der anderen Seite genießen einige Touristen den Ausblick. Sie wundern sich sichtlich über unseren Aufzug. Hinter dem Grat ist von den Wolken nichts mehr zu sehen. Die Sonne scheint sogar. Wir wandern weiter bis zum Pico do Furado, wo der Weg an einem Aussichtspunkt endet. Irgendwie macht mir das Schlafdefizit zu schaffen. Ich bewältige diese moderate Strecke nur mit Mühe.
Am nächsten Tag wollen wir die Füße ein bisschen schonen und uns Funchal anschauen. Vom Hostel aus sind es drei, vier Kilometer bis ins Zentrum. Funchal ist eine geschäftige, dabei aber äusserst entspannte Stadt. Es gibt viele Parks und alte Bausubstanz. Selbst verlassene Häuser fallen nicht so schnell zusammen. Das Klima. Heute sind in den Bergen wieder dicke Wolken zu sehen. Hier in der Stadt ist es sonnig bei 22 Grad. Es hat immer ein bisschen den Anschein, als würde es gleich regnen, die Wolken bleiben aber in den Bergen. Wir schlendern durch die Gassen, sammeln Eindrücke, zwei Multis (GC3D4F9 und GC37E1T) und ein paar Tradis ein.

Stadtansichen Funchal

Schicke Lost-Stadtvilla in Funchal

Jardim Muncipal im Zentrum von Funchal

Rua de Dom Carlos I

A artE de pORtas abERtas na rua de Santa Maria
Am fünften Tag sieht das Wetter in den Bergen endlich freundlich aus. Wir wollen das Highlight der Reise machen: Eine Wanderung zum Caldeirão do Inferno mit vorherigem knackigen Anstieg und zweimaliger Durchquerung eines zweieinhalb Kilometer langen Levadatunnels. Los geht es an einem Elektrizitätswerk. Die Anfahrt war schon nicht ohne; der Wanderführer empfiehlt dazu Allrad. Aber der Peugeot macht das auch. Vom Parkpunkt aus muss jetzt erst einmal ein 300-Meter-Anstieg zum eigentlichen Levadaweg absolviert werden. Wir haben Trekkingstöcke immer für überflüssig gehalten. Jetzt sind wir froh, dass wir uns welche geliehen haben. Steil geht es die Serpentinen bergauf. Wir kommen an den angeblich ältesten Bäumen Madeiras vorbei. Die Wurzeln des Stinklorbeers sollen noch aus der Zeit der Besiedelung stammen.
Schon vor dem langen Tunnel müssen einige kürzere Exemplare durchquert werden. Das kennen wir schon von gestern. Da es in den Tunneln tüchtig tropft, hat man die ganze Zeit die Regenjacke an.

Wasserfälle überall

Typische Tunneldurchquerung mit Levada

Am Eingang zum Tunnel der Levada do Pico Ruivo

Vor dem Einstieg in den Tunnel

Geniale Aussichten
Mitten im Tunnel liegt ein Cache (GC1EFF5). Den wollen wir natürlich loggen. Zuerst laufen wir daran vorbei, aber im zweiten Anlauf klappt es. Die gut zweieinhalb Kilometer sind ganz schön anstrengend. Das Geröll und die maroden Schienen der alten Lorenbahn machen das Fortkommen nicht gerade einfach. Es gibt auch niedrige Stellen und ich haue mir mehrfach den Kopf an. Der @geohamelenser meinte dazu nur: „Wer sich da nicht den Kopf einmal angehauen hat, der war nicht wirklich drin.“

Die Levada, die Felsbrocken, die Gleise. Bin schon bequemer gewandert.

In der Mitte
Als wir aus dem Tunnel raus sind, erst einmal leichte Verwirrung. Welchen Weg nehmen? Das GPS ist hier nutzlos. Zwischen den hohen Felswänden findet es keinen Fix. Die Lösung: Kurz vorm Ende des Tunnels muss man durch ein Felsloch abbiegen.
Auf dem letzten Stück zur Schlucht gibt es einen Tunnel mit Zwangsdusche. Danach folgt ein unwirklicher kleiner Talkessel. Von überall hört man das Wasser rauschen. Dann stehen wir drin. Der Caldeirão do Inferno! Der ist zwar nicht so eng wie der Caldeirão Verde, dafür aber doppelt so hoch. Ich hatte daraufhin getwittert: „Kann man nicht erklären, muss man sehen.“ Das fasst es ganz gut zusammen, denke ich.
Diese Wanderung gehört zu den schönsten, die wir je gemacht haben.

Hier wird man nass – ob man will oder nicht

Blick aus einem Tunnel

In den kleinen vorgelagerten Talkessel fließt von überall Wasser hinein.

Caldeirão Do Inferno

Es zieht sich zu, Zeit für den Abstieg

So gefährlich ist es nun auch wieder nicht
Am folgenden Tag ist das Wetter in Funchal prächtig. Um die Berge haben sich weisse Wolken gelegt. Mit ein bisschen Glück sollte die Paul da Serra, eine Hochebene, über eben jenen Wolken sein. Dort gibt es eine Letterbox an einem kleinen Lost Place und einer der höchsten Berge der Insel. Also fahren wir hin. Die erste Straße, die wir versuchen, ist gesperrt. Mit ein bisschen Glück finden wir einen anderen Weg hinauf. Als wir durch die Wolkendecke stoßen, breitet sich vor uns eine komplett andere Landschaft aus.

Paul da Serra
Nachdem wir die Letterbox (GC46Q4F) mit schöner Geschichte in einem verlassenen Bauernhof geloggt haben, machen wir uns auf zum Pico Ruivo Do Paúl von dort hat man einen schönen Blick auf das Zentralmassiv. Da sind wir gestern unten drunter durch gegangen.

Zentralmassiv mit Pico Ruivo
Der Weg zurück führt uns durch einen verwunschenen Wald, wieder ganz andere Landschaft.

Märchenwald – mit Levada
Den Rückweg fahren wir über die Nordküste. Auch hier bieten sich großartige Ausblicke auf schroffe, aufregende Landschaft. In São Jorge müssen wir tanken. Wir fragen den Tankwart, wo man hier gut und traditionell essen kann. Er weist uns den Weg zur Kirche. Dahinter befindet sich das Casa De Palha. Wir bestellen Carne de Vinho e Alhos (Schweinefleischstücke gewürzt mit Knoblauch, Wein und Lorbeerblättern) und bekommen Kraut und Süßkartoffeln dazu gereicht. Genial!

Großartiges Abendessen!
Abends gehen wir noch runter nach Funchal. An einer Bar legt ein DJ unter freiem Himmel auf. Es ist angenehm warm, wir sitzen draußen und freuen uns, dass der 23. November ist.
Am nächsten Morgen hat sich ein U-Boot der portugiesischen Flotte vor unser Frühstücksfenster verirrt. Später sehen wir, dass es von einem Lotsenboot abgeholt wird.

Frühstück mit U-Boot
Heute lassen wir es wieder ruhig angehen. Einige Ecken von Funchal haben wir noch nicht gesehen und in der Markthalle waren wir auch noch nicht. Ausserdem droht von Norden wieder Regen. In der Bucht von Funchal ist es aber mehr als angenehm, sonnig und trocken.

Markthalle Funchal

Fischmarkt Funchal

Sissy!

Diese Burschen gibt es hier überall

Touri-Flotte
Abends suchen wir uns ein Restaurant. Das, was uns das Web empfiehlt, hat leider ausgerechnet heute geschlossen. Nach einiger Suche in ein paar Nebengassen werden wir fündig. Hier ist es ein bisschen touristischer, trotzdem ist wenig los, der Preis OK und das Essen lecker. Wir wollen das berühmte Filete de Espada (Filet vom schwarzen Degenfisch) probieren. Wieder gibt es Süßkartoffeln dazu. Unverarbeitet haben wir die Fische heute auf dem Fischmarkt schon gesehen. Dieses hässliche Vieh ist aber wirklich lecker!

Degenfisch – sieht fies aus, ist aber lecker!
Den letzten Tag auf der Insel wollen wir noch nutzen. Unser Flug nach Lissabon geht erst um Mitternacht. Im Hostel haben wir Mona kennen gelernt. Wir haben uns ein bisschen angefreundet und beschließen heute zusammen eine kleine Runde zu wandern. Unser Ziel ist Fanal, ein uralter Lorbeerwald auf 1130 Metern Höhe. Als wir dort ankommen, nieselt es. Wir brechen trotzdem auf. Die Wolken hängen immer tiefer und tauchen die alten Riesen in dichten Nebel. Wenn wir heute über die Wanderung sprechen, nennen wir die Gegend „Nebelwald“. Wir gehen noch zu dem kleinen See Lagoa. Aus dem Nieselregen ist ein ausgewachsener Guss geworden. Als wir am Auto ankommen, sind alle pitschnass. Wir fahren wieder runter zur Südküste nach Ponta do Sol. Da scheint tatsächlich die Sonne und wir trocknen unsere Klamotten auf einem Parkplatz. In einer Strandbar bei Ribeira Brava lassen wir den Nachmittag ausklingen.

Im Nebelwald

Hier hat vor kurzem ein Waldbrand gewütet

Im Nebelwald sind wir ziemlich nass geworden

Ein letzter Blick auf den Atlantik in Ribeira Brava
Es ist ein ruhiger Nachtflug nach Lissabon. Gegen zwei Uhr sind wir da. Unser Anschluss nach Düsseldorf geht um Sieben. Also hauen wir uns in einer Wartezone hin und versuchen ein wenig zu schlafen. Eine Nacht am Flughafen wollte ich immer schon einmal verbringen.
Madeira wird nicht umsonst die Perle des Atlantiks genannt. In den paar Tagen hier haben wir so viele tolle Eindrücke gesammelt und noch längst nicht alles gesehen. Fazit: Wir kommen wieder!