An der schönen blauen Donau

Einmal Serbien durchqueren

Alternativer Viehtransport

Am nächsten Tag wachen auf der malerischen Birnenplantage auf. Es steht Frühstück für uns bereit, das wir gestern bestellt hatten. Es handelt sich um das traditionelle Lepinja (Fladenbrot) mit Kajmak und Ei. Dazu gibt es Kaffee und flüssigen Jogurt. Das ist unfassbar lecker, aber auch ganz schön mächtig.
Nach dem Essen rechnen wir mit dem Wirt ab. Quittungen sind etwas ganz Wichtiges in Serbien, das haben wir schon gelernt. Theoretisch muss man für jeden Tag Aufenthalt im Land seine Unterkunft und auch die Herkunft von Waren, die man ausführen möchte, nachweisen. Meist gibt es – selbst in den kleinsten Supermärkten – einen Ausdruck aus einer Kasse. Hier wird jetzt ein Quittungsblock herausgeholt und ein Blatt sorgfältig in kyrillischer Schrift ausgefüllt. Meinen Namen malt er fast vom Perso ab. Er hat sichtlich Mühe mit den lateinischen Buchstaben.
Heute werden wir Serbien Richtung Osten durchqueren. Unser Ziel ist der Nationalpark Đerdap, der direkt an der Donau liegt. Unsere Sorge von gestern bezüglich der Einkaufsmöglichkeiten am Sonntag waren unbegründet. Alle Supermärkte haben geöffnet. Die kleinen Märke scheinen sowieso immer offen zu haben.
Ländliche Passagen wechseln sich mit der Durchquerung von Städten ab. Gerade in der Nähe vom „Autoput“, der serbischen Autobahn, gibt es etwas Industrie. An der Bordelldichte kann man die Nähe zur Fernstraße ausmachen. Desto mehr Herzchen an den Häusern, je näher ist man an einer Auffahrt.
Nach einem kurzen Stück Autobahn in Richtung Norden fahren wir auf eine M-Straße. Die sind vom Rang vergleichbar mit unseren Bundesstraßen und meistens relativ gut ausgebaut. R-Straßen hingegen können alles sein. Von guten Teerstraßen bis zur Schotterpiste. Die M24 hat aber teils einen sehr schlechten Belag und wir kommen nicht so schnell voran.

Straße entlang der Donau bei Golubac

Man fährt direkt durch die Stari Grad Golubac

Mittendurch…

…durch mehrere Torbögen

Irgendwo in einem Dorf finde ich ein offenes Wlan und setze ein kurzes Lebenszeichen via Twitter ab. Als wir den Nationalpark Đerdap erreichen, sind die Schatten schon ganz lang geworden. Es ist später Nachmittag und es wird hier doch merklich früher dunkel als in Norddeutschland. Direkt an der Donau soll es einen Campingplatz geben, der auf einer kleinen Landzunge liegt.
Die Fahrt dorthin ist landschaftlich äusserst schön. Die Straße schlängelt sich an der Donau entlang, die hier teilweise mehrere hundert Meter breit ist. Auf der anderen Seite liegt Rumänien. Wir wollen am nächsten Tag den Länderpunkt und noch ein paar weitere Caches auf einer Rundtour machen und vorher in Serbien übernachten. Aber es kommt anders.

Die Donau bei Dobra

Eigentlich ein schöner Stellplatz

Als wir den Campingplatz erreichen, ist niemand dort. Das Haus, das eine Kneipe und wahrscheinlich auch die Rezeption beherbergt, ist verlassen. Die Türen stehen offen, die Kühlschränke sind leer. Auf einem Tisch steht aber ein Aschenbecher, der frisch benutzt aussieht. Wir schauen uns weiter um. Die sanitären Anlagen sind faktisch nicht benutzbar. Es gibt kein Wasser. Wir setzen uns an die Donau, studieren die Karte und den Campingführer. Ist der Fluss von oben auf der Straße wunderschön, sieht man jetzt hier wie dreckig er ist. Das Ufer ist bedeckt von einer schleimigen Algenschicht, ein paar Plastikflaschen dümpeln herum.
Ein Mann mittleren Alters nähert sich. Er trägt nur eine Badehose. Wir haben unterwegs einige Gartengrundstücke gesehen, wahrscheinlich kommt er von einem davon. Wir unterhalten uns auf Englisch und er meint, wir müssen eine bestimmte Telefonnummer anrufen, wenn wir hier die Nacht verbringen wollen.
Wir beschließen, hier stehenzubleiben und einfach abzuwarten, was passiert. Die Schatten sind noch länger geworden und wir brauchen was zum Pennen. Das Fahren bei Dunkelheit ist auf dem Balkan nicht ganz ungefährlich. Es wird recht forsch gefahren, man sieht die Schlaglöcher nicht und schlimmer: Überall muss mit unbeleuchteten Fahrradfahrern oder Fuhrwerken gerechnet werden. Dazu Straßen an steil abfallenden Hängen ohne Leitplanke und teilweise ohne Markierung. Was am Tag ganz spaßig ist, kann nachts echt zum Problem werden.
Jetzt gesellen sich noch zwei weitere Männer hinzu und die drei steigen in die pottdreckige Donau. Dabei haben sie uns ständig im Blick, taxieren uns und machen ihre Späße. Die Situation ist uns alles andere als sympathisch. Es sieht so aus, als ob wir hier über Nacht nicht allein blieben würden. Hier zu schlafen und auf Sanitär zu verzichten wäre kein Problem. Aber irgendwie haben wir das erste Mal auf der Reise ein richtig komisches Gefühl bei den drei Badenden.

Die Landschaft ist schön, aber steil

Die steile Landschaft hier ist zwar wirklich schön, gibt aber keine wirklich guten Plätze zum Wildcampen her. Die nächste Möglichkeit, legal zu stehen wäre ein Platz in Rumänien, 60 km entfernt. Luftlinie. Ich schätze die Fahrzeit auf 1-1,5 Stunden. Also los.
Unterwegs wird die Strecke noch schöner. Es ist kaum Verkehr und man kann sich richtig satt sehen. Dann plötzlich, einige Tunnel und schöne Ausblick später, nehme ich im Augenwinkel ein Schild mit einem Zelt wahr. Also drehen wir und fahren hin. Das Schild weist in eine schmale Serpentinenstrecke, wo es steil bergauf geht. Wir biegen ab und schrauben uns immer weiter den Berg hoch. Nach ein paar Kilometern finden wir eine Pension und da ist auch wieder das Schild mit dem Zelt. Astrid steigt aus um die Lage zu erkunden und wird gleich von einer älteren Frau auf Herzlichste begrüßt. Ich parke den Bus und geselle mich dazu. Wir werden zu einer jüngeren Frau gebracht, die Englisch spricht. „Sorry, tents only.“ Der Zeltplatz hinter der Pension ist auf Radreisende spezialisiert und tatsächlich nicht mit dem Bulli zu erreichen. Das ist ziemlich schade, denn die ganze Anlage ist liebevoll gemacht, die Leute sind freundlich und die Aussicht vom Zeltplatz muss grandios sein. Ausserdem sind die Schatten wieder etwas länger geworden.
Also doch nach Rumänien.
Hinter Donji Milanovac legt die Landschaft noch einmal nach. Die Straße verläuft jetzt entlang des zunehmend steiler abfallenden Ufers, hoch über der Donau.

Am Eisernen Tor

Parkplatz mit Aussicht

Der Grenzübergang liegt kurz hinter dem Eisernen Tor und führt über das gleichnamige Wasserkraftwerk, das zu gleichen Teilen von Serbien und Rumänien betrieben wird. Niemand will uns kontrollieren. Wir passieren den Fluss und sind in Rumänien, also auch wieder in der EU und dem Schengenraum.

Grenze Serbien / Rumänien

Auf der Grenzbrücke

Neue Straße auf der rumänischen Seite der Donau

Jetzt fahren wir die Donau Richtung Norden hoch. Gleiche Strecke, andere Richtung. Die Straßen sind nagelneu und mit grellweissen Markierungen versehen, die Felswände betoniert. Alles wirkt total überdimensioniert. Als wir die ersten Ortschaften erreichen, wird es noch skuriler. Die pechschwarze, glatte und üppig beschilderte Straße ist gesäumt von unfassbar heruntergekommenen, aber bewohnten Häusern. Teilweise drängt sich der Begriff „Slum“ auf.
Der Campingplatz soll bei Băile Herculane liegen. Keine genaue Adresse, keine GPS-Koordinaten. Wir folgen den Schildern und biegen von der Hauptstraße ab. Wirkt alles zunächst noch dörflich, wird es jetzt viel rummeliger. Das Sträßchen, das zunehmend entlang winziger Läden gefüllt mit buntem Plunder führt, ist voller Schlaglöcher. In einer Kurve hat es einen kleinen Unfall gegeben. An beiden Enden der Engstelle stehen zwei junge Männer und regeln den Verkehr, sprechen sich per Mobiltelefon ab.

Hotel Decebal

Nach einigen Kilometern erreichen wir das ehemalige Zentrum von Herkulesbad, wie es unter österreichischer Herrschaft hieß. Hier stehen verfallene Hotels im Barockstil neben Betonbauten aus der sozialistischen Ära. Letztere befinden sich in einem ebenfalls bedauernswerten Zustand. Wir lieben Lost Places, aber hier ist es alles andere als lost. Es ist jede Menge los und die Touris flanieren entlang des Verfalls.

Kurbrücke

Vergangene Pracht

Direkt vor dem ehemals prächtigen Hotel Decebal steht die Herkulesstatue. Wir sprechen zwei Passanten an. Ein Campingplatz? Hier? Haben sie noch nie von gehört. Beide sind überaus freundlich und wir können uns auf Englisch brauchbar verständigen. Wir sollen doch bei einer Hotelrezeption fragen. Gleich hier wären doch welche.
Ömm, die Hotels hier sind geöffnet? Und tatsächlich, einige der neueren Betonburgen können gebucht werden. Unsere Wahl fällt auf das Hotel Hercules . Im Eingangsbereich strömt uns der typische Geruch von feuchtem Mauerwerk in die Nase. Wer schon einmal in einem „richtigen“ Lost Place gewesen ist, kennt diesen Geruch ganz genau. Der ehemalige Fußabstreifer ist zu einer Hindernisstrecke geworden. In dem großzügigen Raum vor der Rezeption ist es ziemlich duster. Hinter der Theke prangt ein großes Wandmosaik im sozialistischen Stil der Siebziger. Vor der Theke steht eine Familie und checkt ein. Wir empfinden das alles in unserer Situation als höchst surreal.
Brav stellen wir uns in die Schlange. Die Rezeptionistin, eine Mittfünfzigerin in einem roten Trägerhemd aus Baumwolle wendet sich uns zu. Wir versuchen es auf Englisch, was nicht klappt. Es dauert einen Moment, bis wir merken, dass sie hervorragendes Deutsch spricht. Einen Campingplatz kennt auch sie hier nicht. Aber sie holt ein mächtiges Telefonbuch unter dem Tresen hervor und blättert darin. Wir sollen es mal am Ortsausgang, in der Nähe der Hauptstraße versuchen.

Kuranlagen

Flaneure im ehemaligen Zentrum

Auf dem Weg dorthin treffen wir auf ein Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen. Wir winken und fragen, ob sie das selbe Problem haben. Die Familie aus Bayern hat den Platz bereits gefunden. Es handelt sich um eine Rasenfläche direkt an der Europastraße. Darauf haben sie keine Lust und sind auf der Suche nach einer Pension. Wir finden die Rasenfläche auch. In der Bar nebenan hat gerade die Karaokesession in einer unfassbaren Lautstärke begonnen. Daneben donnern die LKW vorbei. Trotz der inzwischen angebrochenen Dämmerung siegt der Trotz. Dafür bezahlen wir nicht! Ab in den Wald.
Nachdem wir einige Geröllstraßen gecheckt haben und immer irgendwo vor Häusern und kleinen Gehöften landeten, haben wir endlich eine Strecke durch den Wald entlang eines Baches in die Berge gefunden. An einer Furt gibt es eine Freifläche, wo kurz vorher noch einige Bienenvölker gestanden haben. Hier ist es hübsch und wir parken den Bus. Ein leicht süßlicher Geruch liegt über der Landschaft. Noch denken wir uns nichts dabei.

Stellplatz im Wald

Wir kochen und essen zu Abend. Es wird dunkel und trotz der vermeintlichen Abgelegenheit unseres Standplatzes passieren ein paar Autos. Die Insassen wundern sich sichtlich. Als es schon stockdunkel ist, rumpelt ein Lada Niva mit allerlei Geraffel auf dem Dach den Weg herunter. Er hält hinter dem Bus, der Motor läuft weiter, fährt dann aber weg. Das könnte die rumänische Polizei gewesen sein, ist bei den Lichtverhältnissen aber unmöglich zu sagen. Wir sind etwas verunsichert.
Es war ein feuchter und heisser Tag. Mit zunehmender Dunkelheit wird es kühler, die Feuchte bleibt. Der süßliche Geruch von eben wird zu einem ausgewachsenen Gestank. Nun wird es offensichtlich: Es riecht nach Verwesung! Also bleibt das Lüftungsblech heute draussen und wir schlafen im komplett geschlossenen Bus.
Am nächsten Tag finden wir heraus, was hier so stinkt, schauen uns einen anderen Teil von Băile Herculane an und wollen den Länderpunkt RO machen.

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